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21. Mai 2021

Wir sind einfach nicht vernünftig.

Rationalismus ist ein Wunschgedanke.

Wir sind einfach nicht vernünftig. Auch nach über 100.000 Jahren Existenz hat das Säugetier MENSCH bei der Verarbeitung von Informationen durch das Gehirn kaum Fortschritte gemacht. Und das macht sogar Sinn, wenn wir unseren Körper in Bezug auf Energiemanagement bewerten. Das Gehirn ist ein bemerkenswertes Organ. Ganz präzise ist es eigentlich mehrere Organe. Das Gehirn ist in verschiedene Bereiche unterteilt.

Bemerkenswert ist, dass die einzelnen Teile nicht wirklich optimal vernetzt sind – bei einigen Millionen Jahren Altersunterschied auch kaum überraschend. Die Reaktionen auf Informationen sind teilweise durchaus widersprüchlich. Ein Beispiel: Du willst Dir das dritte Motorrad kaufen? Oder doch nicht? Ist das nicht unvernünftig? Richtig Lust und haben wollen! Ach was, spar das Geld lieber. Kennst Du das auch? Hier treten einzelne Gehirnregionen in Wettbewerb. Wir sind einfach nicht vernünftig. Das ist das Bild vom imaginären Engelchen auf der einen und dem Teufelchen auf der anderen Schulter.

Homo Oeconomicus

Alle Modelle und Theorien der neoklassischen Wirtschaftswissenschaft gehen von einem vollkommen rationalen Menschen aus, der stets bestens informiert ist und bei jeder Entscheidung seinen wirtschaftlichen Nutzen kennt und optimieren wird. Entscheidet dieser ‚Homo Oeconomicus‘ zwischen zwei Anlagealternativen, so wählt er stets die mit mehr Sicherheit, wenn beide Alternativen dieselbe Rendite versprechen. Eigentlich ganz einfach oder? Wenn das also für alle AnlegerInnen gilt, und wenn alle MarktteilnehmerInnen vollständig informiert sind, und wenn es keine Marktschranken und freien Zugang gibt, dann bildet sich der Preis eines Wertpapiers in der Mitte aller Erwartungen und der Markt ist im Gleichgewicht. Der Preis ist immer ‚richtig bewertet‘ und enthält stets alle verfügbaren Informationen. Das sagt Eugene Fama (Nobelpreis 2013) in seiner Effizienzmarkthypothese aus. Fama sagt nicht, dass Marktwirtschaft das Heil von Menschheit sei. Fama sagt lediglich, dass Finanzmärkte effizient arbeiten und sich ein bewertungsgerechter Marktpreis für jedes Wertpapier bildet.

Und was ist mit Verzerrungen?

Die Effizienzmarkthypothese kann sehr viele Phasen der Kapitalmärkte und den ‚Normalfall‘ nach wie vor recht gut erklären. Sie ist indes nicht vollkommen. Denn wir beobachten stets, dass es Perioden gibt, die nicht erklärbar sind. Marktpreise sind tatsächlich nicht immer bewertungsgerecht. Beispiele:

  • Anfang des 21. Jahrhunderts platzte die so genannte DotCom-Blase an den Aktienmärkten. Vorher waren sie überbewertet.
  • Schwarze Schwäne wie zum Beispiel eine höchst unwahrscheinliche Virus-Pandemie werfen alle Regeln über Bord und Panik bricht aus.
  • Anleger spekulieren mit Kryptowährungen ohne jede Erfahrung, Historie und Kenntnis.

Hier ist gar nichts rational. Im reinen Fama-Modell dürfte das alles nicht geschehen, weil der Marktpreis jede exogene Veränderung SOFORT durch Bewegung ‚einpreisen‘ müsste, was das Gleichgewicht unmittelbar wieder herstellen würde. Soweit klar, aber wir sind einfach nicht vernünftig. Die Gehirne spielen Streiche und es geschehen seltsame Dinge. Menschen entscheiden fast nie rational. Insbesondere unter Anspannung und in Unsicherheit! Selbst wenn wir uns das Gegenteil einreden wollen. Aber wie machen wir das?

Unser Gehirn wiegt nur 2% unseres Körpergewichts  und verbraucht zugleich rund 20% aller Energie. Der Mensch hat evolutionär zu einen genialen Trick gefunden – allein um möglichst viel Energie zu sparen: Es gibt mindestens zwei Gehirnebenen wie wir heute wissen. Eine Ebene kennt jeder: Unser bewusster Verstand. Diese Hirnebene formuliert Worte, die wir sprechen und schreiben. Hier sitzt auch unsere innere Stimme, die wir beim bewussten Nachdenken in Worte fassend formulieren. Denken ist sprechen und sprechen ist denken. Es geht um bewusste Handlungen wie das Heben eines Bechers heißen leckeren Kaffees zum Mund. Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann nennt diesen Teil ‚System II‘. System II ist allerdings recht langsam und könnte alle Informationen des Tages niemals energiesparend verarbeiten.

Der geniale Trick der Evolution ist das ‚System I‘: Das Gehirn besitzt zusätzlich eine unbewusste Tiefenstruktur. In der Tiefenstruktur greift das Gehirn auf bereits abgespeicherte Bilder, Gerüche, Gefühle etc. zurück, die einer aktuellen Information ähneln bzw. mit ihr in Zusammenhang stehen könnten. Je ähnlicher, umso plausibler Abgleich und Bewertung. Der allererste bewertende Abgleich wird dann nicht weiter geprüft oder hinterfragt. Unser System I ist unfassbar schnell. Das muss es auch sein, damit wir im Auto eine Gefahrenbremsung machen können, denn das Nachdenken wäre in diesem Moment die falsche Strategie. Und wenn System II den Kaffeebecher heben lässt, war der Wunsch nach einem Schluck Kaffee in System I ausgebildet worden. Vielleicht nur weil es gerade Kaffeezeit ist oder Du im Büro immer Kaffee trinkst oder weil etwas in Dir glaubt, ohne Kaffee am Morgen nicht wirklich wach werden zu können.

Die Idee der zweigeteilten Informationsverarbeitung hat Folgen für finanzielle und alle anderen Entscheidungen. Rationalismus findet in System II bzw. der Oberflächenstruktur statt. Unsere Tiefenstruktur, System I,  ist indes so schnell und mächtig, dass es in Wirklichkeit das Entscheidungsruder übernommen hat. Dabei werden in der Tiefenstruktur blitzschnell Bewertungen durch Abgleich mit vorhandenen Bildern und Ähnlichkeiten vorgenommen – und Entscheidungen getroffen oder zumindest vorbereitet! Dieser Prozess hat keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Objektivität, sondern es geht einzig allein um Tempo und möglichst wenig Aufwand. Das Unterbewusstsein liefert schnell und regelmäßig fehlerhaft. Genial und fatal zugleich, denn es entstehen zahlreiche Verzerrungen bei der Informationsverarbeitung. Und wir generalisieren, also verallgemeinern, Einzelfälle nur zu gerne. Und wir lassen weg, was nicht zu unser Bewertung oder Erwartung gehört (das nennt man Tilgung).  Die gute Nachricht: Jeder und Jede kann lernen, in Zuständen tiefer Entspannung und mit etwas Unterstützung von außen mehr Rationalität in seine Finanzentscheidungen einfließen zu lassen. Niemand muss als Opfer seiner Tiefenstruktur ohnmächtig bleiben. Wir dürfen mit unserem Gehirn arbeiten und umgehen lernen.

Unter anderem die geteilte Funktionalität des Gehirns hat Menschheit dahin kommen lassen, wo sie heute steht. Im Wissen um System I können wir Anomalien wie Spekulationsblasen, Schwarze Schwäne, Börsencrashs und insgesamt seltsame Entwicklungen an den Finanzmärkten viel besser erklären. Der Forschungsansatz ist Beratungsansatz und nennt sich ‚Behavioral Finance‚. Er bringt uns wichtiges Wissen, damit Du bessere Finanzentscheidungen treffen kannst. Denn: Wir sind einfach nicht vernünftig und können dann gut damit umgehen. Siehe auch Coaching.

Sachlich entscheiden? Nee .........

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